Autofahren und Diabetes – Forschungsprojekt HEADWIND der ETH Zürich

Die ETH Zürich hat in den vergangenen 18 Monaten in Zusammenarbeit mit dem Inselspital Bern und dem ACS das Forschungsprojekt «HEADWIND» geführt. Dabei geht es um die Entwicklung eines Frühwarnsystems für Menschen mit Diabetes, um sie frühzeitig vor einer Blutunterzuckerung am Steuer zu warnen.

Wer aktiv am motorisierten Strassenverkehr teilnehmen will, muss zwingend gewisse physische und psychische Mindestanforderungen erfüllen. Bei einer chronischen Erkrankung wie dem Diabetes, können akute oder langfristig bestehende Einschränkungen die Fahrfähigkeit beeinträchtigen. Es gilt deshalb die gesetzlichen Bestimmungen einerseits zu kennen und zu beachten, andererseits könnten sogenannte Frühwarnsysteme, wie man sie vom Müdigkeitswarner kennt, in Zukunft für Diabetiker sehr wertvoll sein.

Das Studienfahrzeug wurde zum fahrenden Labor. Ständige Blutzuckermessungen waren für die Sicherheit der Probanden und die Studie erforderlich
Das Studienfahrzeug wurde zum fahrenden Labor. Ständige Blutzuckermessungen waren für die Sicherheit der Probanden und die Studie erforderlich
Im Kofferraum des Studienfahrzeuges wurden Technik und medizinische Geräte gelagert
Im Kofferraum des Studienfahrzeuges wurden Technik und medizinische Geräte gelagert

Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung. Im Blut zirkuliert permanent zu viel Zucker, was den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt und längerfristig die Gefässe schädigt. Von allen Betroffenen leiden rund 5% am sogenannten Typ-1-Diabetes, rund 90% der Betroffenen erkranken im Laufe ihres Lebens am Typ-2-Diabetes (auch bekannt als Alterszucker). Nebst einer ausgewogenen Ernährung und viel Bewegung, muss in beiden Fällen der Zuckerhaushalt mit Medikamenten resp. dem Hormon «Insulin» reguliert werden. Werden Mahlzeiten zu spät oder gar nicht eingenommen oder bei starken körperlichen Anstrengungen und Sport kann der Blutzuckerspiegel vorübergehend derart absinken, dass eine sogenannte Hypoglykämie, kurz Hypo, entsteht. Die Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit werden eingeschränkt. Diabetiker nehmen diese Einschränkungen weniger wahr, weil sie sich zunehmend auf das Fahren konzentrieren. Folgende Symptome einer Hypoglykämie können während dem Autofahren auftreten:

  • Mühe sich zu konzentrieren
  • Doppelbilder sehen
  • Schweissausbrüche, Hitzewallungen
  • Plötzliche, starke Müdigkeit
  • Akuter Hunger
  • Kopfschmerzen oder Herzklopfen
  • Zittern, Schwächegefühl
  • Zunge wird schwer, Taubheitsgefühl in den Lippen
  • Leicht irritierbar

    Auf diese Symptome haben die Forschenden der ETH Zürich und des Inselspitals Bern ihr Frühwarnsystem ausgerichtet. Die in neueren Fahrzeugen bereits vorhandenen Sensoren messen die Lenkradbewegungen. Am Armaturenbrett wurden Kameras angebracht, welche anhand von mehreren Fixpunkten die Augentätigkeit und die Kopfstellung messen und erkennen können, ob einzelne oder mehrere der obengenannten Symptome beim Lenker, der Lenkerin, auftreten. Bewegen sich die Augen zu langsam oder zu schnell, sinkt die Neigung des Kopfes oder verändern sich die Pupillen, so messen die Kameras diese Veränderungen und können aufgrund der hinterlegten Daten erkennen, ob potenziell ein Blutzuckerabfall vorliegt. Das Frühwarnsystem gibt somit Alarm, welches der Fahrer, die Fahrerin, quittieren muss.

Dieser Plan zeigt die beiden Teststrecken auf, welche die Probanden befahren mussten
Dieser Plan zeigt die beiden Teststrecken auf, welche die Probanden befahren mussten
Der ACS hat diesen Fussgängerstreifen und die Puppe zum Projekt beigesteuert. In einer Hypoglykämie sind Wahrnehmung und Reaktion beeinträchtigt, diese Fahrbahnquerung gehörte des halb zur Teststrecke
Der ACS hat diesen Fussgängerstreifen und die Puppe zum Projekt beigesteuert. In einer Hypoglykämie sind Wahrnehmung und Reaktion beeinträchtigt, diese Fahrbahnquerung gehörte des halb zur Teststrecke

    Die Studie sah unter anderem vor, Autofahrten im Schonraum unter möglichst realitätsnahen Verkehrsbedingungen vorzunehmen. Mit dem Waffenplatz der Schweizer Armee in Thun konnte ein solcher Schonraum gefunden werden. Das Studienfahrzeug wurde mit Computer, Messgeräten, Sensoren und Kameras ausgerüstet. Festgelegt wurden in Zusammenarbeit mit dem ACS zwei unterschiedliche Strecken, welche je eine urbane und eine ausserorts Strecke simulierten. Mit Kurven, Signalen, Fussgängerstreifen und kleinen Manövern. Die Probanden sind alle selbst Diabetiker und wissen deshalb, wie wichtig gute Blutzuckerwerte am Steuer sind. Für die Studie wurden sie von einem spezialisierten Team der Universitätsklinik für Diabetologie des Inselspitals Bern medizinisch begleitet. Im Auto stets mitgefahren ist ein Fahrlehrer, er hätte im Falle eines Notfalles eingreifen mit den Ersatzpedalen eingreifen können. Die Forschenden der ETH Zürich überwachten auf ihren Computern die gesamten Daten, welche während den Testfahrten aufgezeichnet wurden.

    Die Probanden fuhren die beiden Strecken als erstes mit einem normalen Blutzuckerwert. Die aufgezeichneten Daten wurden als Referenzwerte hinterlegt. So konnten Abweichungen festgestellt werden, wenn im zweiten Durchgang der Blutzuckerspiegel auf unter 5 Millimol (mmol/l) herabgesenkt wurde. Wie bereits erwähnt, verändert sich die Selbsteinschätzung mit dem Eintreten einer Hypoglykämie, die Reaktion verlangsamt sich, die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, was der Betroffene selber jedoch sehr oft nicht wahrnimmt. Mit einem Blutzuckerwert von unter 3 Millimol startete die dritte Fahrt auf den beiden Teststrecken.

Auf dem Armaturenbrett des Studienfahrzeuges sind zwei Kameras montiert, welche permanent die Daten des Fahrers aufzeichnen und auswerten
Auf dem Armaturenbrett des Studienfahrzeuges sind zwei Kameras montiert, welche permanent die Daten des Fahrers aufzeichnen und auswerten

    Wie das Forschungsteam mitteilt, konnte mit den eingesetzten Geräten eine Hypoglykämie wirklich festgestellt und signalisiert werden. Die Sendung «Puls» vom Schweiz. Fernsehen SRF vom 29.11.2021 zeigt in ihrem Beitrag ausführlich, wie die Studie in Thun durchgeführt wurde. Die Ergebnisse der Studie werden demnächst präsentiert.

    Die gesetzliche Regelung für Diabetiker ist komplex. Abhängig vom jeweiligen Hypoglykämierisiko gelten verschiedene Regeln. Wichtig zu wissen ist:

  • Diabetiker und Diabetikerinnen mit einem geringen Risiko einer Blutunterzuckerung müssen stets Kohlenhydrate (Traubenzucker, Orangensaft, normale Cola) sowie ein Blutzuckermessgerät mitführen.
  • Für Betroffene mit erhöhtem oder grossem Risiko ist zusätzlich zum Notfallset eine Messung des Blutzuckerspiegels vor der Fahrt und während längeren Fahrten erforderlich.
  • Eine Fahrt unter 5 Millimol (mmol/l) ist untersagt. (mehr dazu unter diabetesschweiz.ch)

Text Anita Brechtbühl / Bilder ACS

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