Im Winter ans Nordkap

Der Caravan-Experte Rolf Järmann von Wohnmobilland Schweiz möchte die ACS Mitglieder mit seinen Reportagen «gluschtig» auf eigene Erfahrungen mit dem Camper machen. Das Reisen im Wohnmobil ist die grosse Leidenschaft des ehemaligen erfolgreichen Radprofis, der Etappen an der Tour de France (1992), dem Giro d’Italia (1989), der Tour de Suisse (1990/93) und zweimal das Amstel Gold Race (1993/98) gewann. Der heutige Bericht handelt von seiner abenteuerlichen Winterreise ans Nordkap.

Im Winter ans Nordkap

Ankunft im Dunkeln

Es ist 6 Uhr morgens, Schneetreiben und stockdunkel, als wir in Smygehuk, dem südlichsten Punkt Schwedens, ankommen und unser Wohnmobil (Womo) parkieren. Das Meer ist rau, die Wellen peitschen ans Ufer und die Wassertropfen gefrieren augenblicklich am eisernen Geländer. Vor 50 Minuten verliessen wir die Fähre in Trelleborg und schon haben wir die ersten Zweifel: Ist es eine gute Idee, dass wir mit unserem normalen Womo mitten im März an den nördlichsten Punkt wollen? Können wir bei diesem Wetter und diesem Sturm unser Womo überhaupt je verlassen? Wir sind plötzlich nicht mehr so sicher...

Die erste Nacht verbringen wir vor dem Schloss von Vadstena, wunderschön gelegen, der Burggraben und der daneben liegende See sind dick zugefroren, das Wetter nun sonnig. Die Strassen waren bis zur Zufahrt auf dem Stellplatz nicht schneebedeckt, die Fahrt also problemlos. Wir haben richtig entschieden, noch nicht abzubrechen, sondern weiterzufahren. Morgens beim Start drehen die Räder durch, wir kommen keinen Zentimeter vorwärts. Hä, was ist denn da los? Der gesamte Stellplatz ist topfeben, aber dick mit einer Eisschicht belegt. Wir kommen nicht mal hier in Südschweden vom Platz weg, wie soll das denn im Norden gehen? Schon wieder kommen Zweifel auf und gleichzeitig nähert sich unser einziger Womo-Nachbar mit zwei Anti-Rutsch-Dingern, steckt sie unter unsere Vorderräder und so kommen wir problemlos weg. «Diese Dinger sind unbedingt nötig im skandinavischen Winter» meint er, denn damit könne man sich ein paarmal die Schneeketten sparen.

Rolf Järmann bei der Schneekettenmontage
Rolf Järmann bei der Schneekettenmontage

Erste Nordlichter in der Ferne

Ist ja klar, dass wir im nächsten Biltema auch solche Rutschmatten kaufen und so bei den Kupferminen von Falun für die zweite Übernachtung stoppen. Hier hat es nun schon etwa 40 cm Schnee, die Tagestemperaturen liegen zwischen minus 1 und plus 6 Grad. Es sind die letzten Plusgrade für lange Zeit, aber das wissen wir da noch nicht. Die Tage sind hier zweite Hälfte März schon länger als bei uns und nachts sehen wir weit im Norden schon einen grünen Schimmer. Nur ganz schwach, aber für uns sind es die ersten Nordlichter. Egal, was ab jetzt passiert, die Reise hat sich schon gelohnt!

Weiter geht es nach Norden, nach einem kleinen Abstecher nach Norwegen sind wir wieder im schwedischen Östersund angelangt. Diese Nacht ist nun mit minus 20 Grad richtig kalt, die Strassen ab hier schneebedeckt. Trotzdem fahren wir in einem Zug weiter bis zum Feriendorf Sandsjögarden, das in der Schweiz wegen der TV-Serie «Auf und davon» bereits ziemlich bekannt ist. Hier bleiben wir zwei Tage, geniessen die Sauna, probieren Eisfischen, das heisst, wir bohren mit dem Eisbohrer etwa 20 Löcher in das 60 cm dicke Eis, das ist viel spannender, als in der Kälte dazusitzen und auf Fische zu warten.

Selbst ist die Frau: das Abendessen zappelt (noch) unter dem dicken Eis
Selbst ist die Frau: das Abendessen zappelt (noch) unter dem dicken Eis

Kampf mit der Kälte

Die Nächte sind nun sehr kalt, minus 28 Grad, es sind die kältesten der gesamten Reise. Wir kämpfen mit unserem eingefrorenen Abwassertank. Vor zwei Tagen hatte ich irrtümlicherweise das Abflussventil geschlossen und keine 30 Minuten später war es so hart eingefroren, dass es sich nicht mehr öffnen liess. Und das wird nun echt zum Problem, wie soll das bei diesen Temperaturen je wieder auftauen?

Tags darauf übernachten wir auf dem Parkplatz beim Überschreiten des Polarkreises. Nachmittags steht die Sonne so tief, dass sie direkt unseren schwarzen Abwassertank unter dem Auto anscheint, wir stellen unseren Fonduebrenner noch darunter (keine gute Idee) und der Haarföhn bläst warme Luft direkt von aussen ans Ventil. Und man glaubt es kaum, nach 30 Minuten kann ich das Ventil wieder öffnen und Tropfen um Tropfen Wasser fliesst aus dem Tank. Das Rinnsal wird etwas grösser und wir sind gerettet!

Der absolute Wahnsinn

Was oberhalb des Polarkreises kommt, ist der absolute Wahnsinn! Winterlandschaften, wie sie schöner nicht sein können, zugefrorene Seen und Flüsse und nachts Nordlichter, dass wir vergessen, zu fotografieren, und nur mit offenen Mündern dastehen und in den Himmel starren. So etwas muss man einfach im Leben einmal gesehen haben. Wir schaffen es tatsächlich bis ans Nordkap, am 4. April stehen wir ganz alleine vor der Kugel, als erste Touristen der letzten zehn Tage! Allerdings darf man im Winter dort nicht übernachten, man muss die letzten 15 km im Konvoi fahren, zuerst ein Räumfahrzeug, dann etwa sechs Autos der Angestellten, dann wir und hinter uns das Sicherheitsfahrzeug des Räumkommandos. Mittags mit dem zweiten Konvoi kommen die Busse der Hurtigruten und um 16 Uhr geht das Ganze dann wieder zurück.

Der Polarkreis ist erreicht
Der Polarkreis ist erreicht
Der Polarkreis ist erreicht

Rückreise mit Hindernissen

Auf dem Nachhauseweg über die baltischen Staaten bleiben wir an der russischen Grenze im Niemandsland im tiefen Schnee stecken, unser Womo wird in Prag nachts, während wir schliefen, leergeräumt, aber wir kommen nach 44 Tagen Ende April dennoch gut zu Hause an. Es war wohl eine unserer eindrücklichsten und schönsten Reisen bisher.

Text und Bilder: Rolf Järmann

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