Die Zahl der Unfälle mit Fahrrädern und E-Bikes steigt beängstigend an. Die Kurve der Unfallentwicklung zeigt seit 2017 klar einen steigenden Trend. Und die Massnahmen infolge Pandemie haben zu einem Anstieg von Velofahrer und Velofahrerinnen auf Schweizer Strassen geführt, was wiederum die Unfallzahlen weiter ansteigen liess. Allein im Jahr 2020 verletzten sich auf dem E-Bike 536 schwer oder gar tödlich. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass in der Schweiz die grosse Mehrheit der schulpflichtigen Kinder zwischen dem 9. und 12. Altersjahr ihre Veloausbildung und -prüfung unter Begleitung der Verkehrspolizei absolvieren. Einmal gelernt, sollte dies doch auch für Erwachsene ein «Kinderspiel» sein. Wo also sind die Ursachen für diese Häufung der Unfälle zu suchen und was kann jeder Einzelne für eine sicherere Fahrt auf dem Velo tun?
Der Strassenverkehr verdichtet sich. Viele Velofahrerinnen und Velofahrer bewegen sich zu Stosszeiten auf dem Weg zur Uni oder zur Arbeit auf demselben Streckenabschnitt. Sogenannte «Velostrassen» können hier in Städten und Agglomerationen Abhilfe leisten. Einige solcher Velostrassen sind bereits getestet worden (Bern, Basel) und entlasten so andere stark befahrende Verkehrswege.
Jeder, der Auto fährt kennt diese subjektive Wahrnehmung von fehlender gegenseitiger Rücksichtnahme. Für den motorisierten Verkehr schwierig genug, mit all den doch sehr unterschiedlichen Zweiradvarianten (Rennrad, Citybike, Mountainbike, E-Bike langsam, E-Bike schnell, Lastenvelo, Velo mit Anhänger, usw.) im dichten Verkehr klar zu kommen. Und doch sitzen viele Autofahrerinnen und Autofahrer auch zwischendurch auf dem Fahrrad und können als Vorbild voran gehen und mit einer rücksichtsvollen und korrekten Fahrweise das sicherere Nebeneinander im Strassenverkehr fördern.
Wir wissen: Velofahren ist in jedem Alter gesund, es fördert die Beweglichkeit, die Motorik und das Gleichgewicht. Zudem ist Bewegung an der frischen Luft gesund und steigert das Wohlbefinden. Ob nun als sportliche Rennradfahrer oder eher gemütliche E-Bikefahrer, auf dem Weg zur Arbeit oder in der Freizeit, jeder gefahrene Kilometer trägt zur körperlichen und geistigen Fitness bei. Wohl auch deshalb boomt das Fahrradfahren wie nie zuvor. Das wichtigste überhaupt für eine sichere Fahrweise auf dem Fahrrad sind optimaler Selbstschutz, vorausschauende Fahrweise und gegenseitige Rücksichtnahme.
Der kleine Elia (5 Jahre) legt seit einiger Zeit regelmässig den Velohelm seines Vaters Pascal vor die Türe, bevor dieser die Wohnung verlässt. Denn es gab eine Zeit, in der Pascal weder einen Velohelm, noch eine Leuchtweste auf dem Velo trug, wenn er zur Arbeit radelte. Doch dann kam der Moment, der alles veränderte.
Wie so oft blieb auch an diesem verregneten Morgen wenig Zeit. Zudem drängte sich eine Regenjacke auf, wollte Pascal nicht den ganzen Morgen mit feuchtnassen Kleidern im Büro sitzen. Er schnappte sich die neue anthrazitfarbene Regenjacke, die er eigentlich fürs Wandern gekauft hatte, die Umhängetasche für den Laptop und klemmte sich die Hose am Bein mit einer Klammer fest. Und tschüss. Pascal war bereits auf seinem Rad und nahm den Arbeitsweg unter die Räder. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht. Er senkte den Kopf, um wenigstens die Fahrbahn unter seinen Rädern zu sehen. Wie immer fuhr er die ruhige Quartierstrasse entlang, um dann in die doch stärker befahrene Hauptstrasse rechts einzubiegen. Easy. Nach rechts abbiegen ist ja eh immer erlaubt, neuerdings auch bei roter Ampel (Anm. der Redaktion: sofern dies an der Ampel gekennzeichnet ist), da kann Pascal locker durchziehen. Und dann passierts: Da steht ein Lieferwagen. Hier steht sonst nie ein Lieferwagen. Halbwegs auf dem Trottoir und auf der Strasse, die Pannenlampen eingeschaltet und die Hebebühne offen, um Güter zu entladen. Zu spät für Pascal. Zu spät, anhalten zu können. Im Reflex zieht Pascal beide Bremsen am Velo, versucht dem Lieferwagen nach links auszuweichen und überschlägt sich prompt direkt vor ein nahendes Auto. Auf dem Boden bleibt Pascal liegen.
Pascal wird ins Spital gebracht und gut versorgt. Er hat sich einige Verletzungen beigezogen, hatte dann aber wohl sehr viel Glück im Unglück. Die zugezogenen Brüche verheilten und die Kopfverletzung hinterliess keine bleibenden Spuren.
Dieses Ereignis hat Pascal zum Umdenken gebracht. Als erstes besuchte er ein Fahrtraining für Velofahrende. Man übt richtiges Bremsen, Geschicklichkeit und vieles mehr. Die einst erworbenen Grundkenntnisse aufzufrischen, haben noch keinem geschadet, sagt sich Pascal. Zudem setzt er sich grundsätzlich nur noch mit einem guten und passenden Velohelm aufs Fahrrad. Die Leuchtweste wird immer getragen, ob bei schönem oder schlechtem Wetter. Und bei Regen trägt Pascal jetzt eine Regenbrille. So hat er stets den Blick auf der Strasse. Pascal bremst jetzt auch etwas ab, bevor er rechts in eine Strasse einbiegt. Denn man weiss ja nie, was kommt.
Text: Anita Brechtbühl
Bilder: zVg