Man nehme einen Audi S2 und lasse ihn von Porsche überarbeiten. So könnte man die Essenz des RS2 zusammenfassen, des ersten „RS” von Audi, der aus der historischen Zusammenarbeit mit Porsche hervorgegangen ist. Mit seinem Fünfzylinder-Turbomotor und Allradantrieb war er der schnellste Kombi der Welt. Aber heute zu fahren ist noch beeindruckender.
Der Audi RS2 Avant, entstand aus einer der überraschendsten und faszinierendsten Kooperationen der Automobilindustrie, ist nicht nur ein Bindeglied zwischen Audi und Porsche, sondern auch das Modell, dass den Beginn der „RS”-Reihe von Audi markierte.
Es war das Jahr 1993. Porsche befand sich in einer wirtschaftlich schwierigen Phase. Der Audi 80 stand am Ende seiner Karriere. Bald sollte er durch die erste Generation des Audi A4 ersetzt werden. Der Ingolstädter Hersteller, der bereits den auf dem 80 basierenden Sportwagen S2 (in drei Karosserievarianten) im Programm hatte, wollte sein sportliches Image weiter stärken. Porsche blickte bereits damals auf eine lange Tradition in der Auftragsentwicklung zurück und hatte wenige Jahre zuvor an der Entwicklung des Mercedes 500 E der Baureihe W124 mitgewirkt. So entwickelte und montierte Porsche im historischen Rössle-Bau – dem Werk, in dem der 500 E geboren wurde – den heute als Audi-Porsche RS2 bekannten Wagen.
Audi lieferte die Karosserie und zahlreiche Komponenten, die auch beim 80 Avant und insbesondere beim S2 zum Einsatz kamen, während Porsche für die Feinabstimmung und über 20 % der Komponenten verantwortlich war. Das Ergebnis? Als der RS2 1994 auf den Markt kam, sorgte er sofort für Aufsehen. Ein Familienwagen, der plötzlich die 250-km/h-Marke knackte und es am Ende sogar auf 262 km/h brachte. Unter der Haube arbeitete eine überarbeitete Version des bekannten 2,2-Liter-Fünfzylinder-Turbomotors aus dem Audi S2. Doch Porsche machte daraus weit mehr als nur ein Update: Ein größerer KKK K26-Turbolader, neu konstruierte Ansaugkanäle, ein kräftigerer Ladeluftkühler und ein neu abgestimmtes Steuergerät verwandelten den Motor in ein echtes Kraftpaket.
Aber der Einfluss aus Stuttgart beschränkte sich nicht nur auf den Motor: Der RS2 verfügt über Brembo-Bremsen aus dem 911, 17-Zoll-Felgen im Cup-Design, Rückspiegel und Blinker aus dem 964, Porsche-Instrumente, spezielle Stossfänger und sogar exklusive Türgriffe. Sogar das RS-Emblem auf dem Kühlergrill und der Heckklappe trägt – ebenso wie der Motor selbst – die unverkennbare Signatur „Porsche“.
Dreissig Jahre später und mit nur 2'891 produzierten Exemplaren bedeutet das Fahren eines RS2 heute, eines der ersten Sportwagen für Familien wiederzuentdecken, dass hohe Leistung und Vielseitigkeit vereint. Seitdem gab es viele weitere RS-Modelle und ebenso viele Marken haben sich in diesem Segment versucht. Am Steuer eines RS2 zu sitzen, bedeutet heute jedoch, etwas Seltenes und Einzigartiges in den Händen zu halten. Es vereint den Geist zweier Marken. Hier beginnt unsere Testfahrt.
Sobald Sie die Tür öffnen, werden Sie von dem blauen Alcantara fasziniert sein, das einen Kontrast zum Leder der Sitze und den Karbonverkleidungen an Armaturenbrett und Türen bildet. Dann nehmen Sie auf den Recaro-Sitzen Platz und stellen fest, dass der Innenraum trotz der kompakten Abmessungen überraschend geräumig ist – im Vergleich zu einem heutigen RS3 ist er nur etwa zehn Zentimeter länger. Er wirkt genau so, wie man ihn aus den Audi-Modellen der frühen 90er Jahre in Erinnerung hat: Solide Kunststoffe und ein rationales Layout, bei dem alle Bedienelemente leicht zu finden und zu bedienen sind.
Obwohl die Lenksäule nicht verstellbar ist, findet selbst jemand, der wie ich 1,90 m gross ist, problemlos eine passende Fahrposition. Mit ein wenig Herumprobieren der Sitzverstellungen – manuell für die Längsverstellung, elektrisch für Höhe und Neigung der Rückenlehne – lässt sich der Sitz optimal anpassen. Wir sind startklar!
Der berühmte Fünfzylinder mit dem Kürzel ABY springt recht unspektakulär an. Keine Aufwärmphase bei vorübergehend höherer Drehzahl, kein Bellen durch geöffnete Auslassventile, kein Feuerwerk. Tatsächlich ist der RS2 auch auf den ersten Kilometern alles andere als pyrotechnisch, sodass man das Gefühl hat, einen gewöhnlichen Audi 80 zu fahren: Der Motor ist kaum zu hören. Bei niedrigen Drehzahlen ist nichts von dem Potenzial zu spüren, dass er im oberen Drehzahlbereich entfaltet und wäre da nicht die ikonische Farbe Nogaro-Blau, würde er sogar unbemerkt bleiben.
Als ich das Stadtzentrum verlasse und in die Hügel fahre, fällt mir als Erstes die Linearität der Lenkung auf, die entgegen den Erwartungen in der Mitte nicht besonders leer ist. Sie reagiert schneller als andere Sportwagen derselben Epoche, die ich kürzlich gefahren bin. Er zeigt überraschende Präzision und gibt Informationen von der Vorderachse an die Handflächen weiter. So kann man sich schnell mit ihr vertraut machen und einen guten Dialog mit dem gesamten Auto aufbauen, präzise Linien fahren und das Potenzial des Motors erkunden.
Wie viele wissen, ist der Fünfzylinder des RS2 für sein ausgeprägtes Turboloch bekannt. Tatsächlich zeigt der 2,2-Liter-Motor bei niedrigen Drehzahlen zwar eine angenehme Elastizität, aber das Ansprechverhalten unterscheidet sich nicht wesentlich von dem eines vergleichbaren Saugmotors. Erst bei etwa 3’000 Umdrehungen wird er lebhaft und entfaltet sein volles Potenzial bei etwa 1’000 Umdrehungen mehr, ohne bis zum roten Bereich bei 7’200 Umdrehungen pro Minute nachzulassen.
Im Vergleich zum konstanten (und sofort verfügbaren) Drehmoment von Elektromotoren oder den Motoren, mit denen die modernen Pendants des RS2 heute ausgestattet sind, mag die Durchzugskraft wenig spektakulär erscheinen. Die Energie, mit der er seine 315 PS und 410 Nm entfaltet, ist jedoch beachtlich und trägt dazu bei, das gesamte Fahrzeug zu beleben, wobei sich die Vorderachse in Richtung Horizont hebt, sobald die Turbine mit ihrem maximalen Druck von 1,4 bar arbeitet.
Überraschend ist, dass der Sound, wenn man an die extrovertierten RS3 gewöhnt ist, sehr ruhig, fast gedämpft ist. Das ist wirklich schade, aber offenbar war es damals keine Priorität, dem Auspuff eine Stimme zu geben.
Der Turbo-Lag des RS2 war schon immer ein Thema: Die einen lieben ihn wegen seines Charakters, die anderen hassen ihn, weil es – eigentlich ziemlich oft – vorkommen kann, dass man aus einer Kurve kommt und nicht das gesamte Potenzial zur Verfügung hat. Im Prinzip haben beide Recht. Allerdings muss man diesen Fünfzylinder kennenlernen, erforschen und verstehen. Wenn man anfangs auch zwischen den Gangwechseln Leistungseinbrüche spürt, braucht es nicht viel, um zu lernen, den Motor entsprechend der Strasse zu interpretieren und umgekehrt.
Sicher: Man muss oft den Schalthebel betätigen und am Ende jeder Kurve die Strecke, den Brems- und den Beschleunigungspunkt für die beiden nächsten Kurven planen, wie eine Art Rallye-Navigator für sich selbst. Und es stimmt auch, dass man das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten muss, um die volle Leistung zu nutzen. Sobald man jedoch die Tricks gelernt hat und sich daran gewöhnt hat, den rechten Fuss bereits beim Einfahren in die Kurve durchzutreten, wird die RS2 so mitreissend wie nur wenige andere Familienautos.
Man sollte sich von der kraftvollen Leistungsentfaltung nicht zu sehr einschüchtern lassen, denn das Fahrzeug vergisst nie, dass es ein Familienauto ist. Selbst bei Vollgas von einer Kurve in die nächste bleibt der Kontakt zum Fahrzeug stets erhalten: Trotz deutlichem Nicken und der Entlastung der Vorderachse führt es alle Lenkbefehle präzise aus, unterstützt von einer beruhigenden Traktion.
Entgegen den Erwartungen ist auch das Untersteuern, dass ich für stark gehalten hatte, in Wirklichkeit nur geringfügig, ebenso wie die Wankneigung. Und sollte die Kurvenlinie zu weit sein, genügt es, den Fuss vom Gaspedal zu nehmen und der RS2 schliesst intuitiv mit der Hinterachse.
Energisch und charakterstark, ja, aber auch einfach und intuitiv, selbst auf unebenem Asphalt und unabhängig von den Haftungsbedingungen. Wenn man sich die Zeit nimmt, ihn zu verstehen und optimal zu interpretieren, ist es ein Auto, dass viel Freude bereitet und Lust macht, die Strecke zu verlängern, nur um noch ein paar Kurven mehr zu fahren. Das schafft normalerweise nur ein echter Sportwagen.
Text / Bilder Benjiamin Albertalli