Der bislang leistungsstärkste Defender ist alles andere als ein reines Imageprodukt: Unter realen Bedingungen zeigt er eindrucksvoll, wie er das Konzept des Hochgeschwindigkeitsfahrens im Gelände neu definiert.

Es ist der stärkste Defender aller Zeiten und er kombiniert aussergewöhnliche Fahrleistungen mit allen technologischen Raffinessen, die die jüngste und ausgereifteste Plattform des Modells zu bieten hat. Der Defender OCTA ist sicherlich ein Nischenfahrzeug, nicht zuletzt wegen seines hohen Preises. Dennoch zielt er darauf ab, eine intensive Fahrerfahrung auf allen Ebenen zu bieten, ohne seine rein geländetauglichen Wurzeln aus den Augen zu verlieren.
Denn der Mehrwert zeigt sich weniger auf Asphalt. Dort glänzte bereits der „normale“ Defender mit dem legendären, per Kompressor aufgeladenen 5,0-Liter-V8 mit 525 PS überraschend gut. Seine Stärken spielt er vor allem bei engagierter, schneller Fahrt auf Schotter aus.
Ein Einsatzszenario, das man bei uns nur selten erlebt. Der OCTA soll zudem den Startschuss für die bevorstehenden motorsportlichen Aktivitäten geben, mit denen Land Rover ab 2026 für drei Jahre an der FIA World Rally-Raid Championship (W2RC) teilnehmen wird.
Unter der Haube arbeitet weiterhin ein starker V8-Benziner. Anstelle des bisherigen 5,0-Liter-Kompressormotors – der inzwischen nicht mehr produziert wird bzw. nur noch in einer auf 425 PS reduzierten Variante im Defender 110 erhältlich ist, der als Basis des OCTA dient – kommt nun das modernere 4,4-Liter-Biturbo-Aggregat von BMW zum Einsatz. Es wird von einem Mildhybridsystem unterstützt, das kurzzeitig zusätzliche 20 kW und 180 Nm liefert. Der Motorwechsel verändert den Charakter des Fahrzeugs nur teilweise, sorgt aber für spürbar mehr Leistung und Drehmoment: Der Sprint von 0 auf 100 km/h sinkt von zuvor 5,4 Sekunden auf nun glatte 4,0. Ein beachtlicher Sprung, zumal der Wagen über 150 kg schwerer geworden ist und nun deutlich über 2,5 Tonnen wiegt.


Das Ganze geht einher mit einer umfassenden Überarbeitung des Antriebsstrangs und des Fahrwerks. Hinzu kommt das hochentwickelte 6D-Dynamics-Federungssystem mit verstellbaren Luftfedern und hydraulisch miteinander verbundenen, semiaktiven Dämpfern. Dieses System – gemeinsam mit der Lenkung von der Range Rover Sport SV übernommen – dient nicht nur dazu, das Potenzial auf Asphalt auszuschöpfen und ein respektables Fahrverhalten zu bieten, sondern entfaltet seine maximale Wirkung im Gelände: Es ermöglicht eine deutlich grössere Verschränkung der neu konstruierten Aufhängungsarme um 10 cm. Dank einer Bodenfreiheit von beeindruckenden 32 cm, exzellenten Böschungswinkeln und einer Wattiefe von bis zu einem Meter erreicht der OCTA nahezu unaufhaltsame Geländefähigkeiten.
Serienmässig stehen 22-Zoll-Räder im Radkasten, auf Wunsch sind jedoch 18-Zoll-Felgen mit grobstolligen Reifen für schwerste Einsätze erhältlich. Die Performance-Orientierung ist in jedem Einsatzbereich kompromisslos: Der extremste Fahrmodus „OCTA“ ist darauf ausgelegt, das volle dynamische Potenzial im Gelände freizusetzen. Hier sind auch Bremsanlage und elektronische Regelstrategien auf maximale Effektivität und maximalen Fahrspass hin abgestimmt.
In diesem Modus gibt es z.B. einen eigenen Launch Control, der Wankwiderstand wird halbiert, der Dämpferweg vergrössert, die Nickkontrolle deaktiviert, Leistung und Drehmoment stärker an die Hinterachse geleitet und das ABS erlaubt mehr Radblockieren, sodass sich Material vor den Reifen aufhäuft und der Bremsweg auf losem Untergrund reduziert wird.
Doch wie
fühlt sich der Defender OCTA tatsächlich an?
Der neue Motor – weniger „wild“ als der vorherige – liefert eine samtige, aber
energische und stets präsente Kraftentfaltung.
Natürlich lässt sich nicht leugnen, dass die über 2,5 Tonnen Masse auf 5 Meter Länge und fast 2 Meter Höhe mit entsprechend hohem Schwerpunkt spürbar sind. Dennoch bewegt sich der OCTA überraschend natürlich: Das Einlenkverhalten ist sauber, Wank- und Nickbewegungen bleiben gut kontrolliert, und die Reaktionen wirken stets authentisch – ganz anders als bei vielen sportlichen SUVs.


Das Ergebnis: Man legt die Linie fest, gibt ihm einen Moment zum Setzen und drückt dann das Gaspedal durch – und er katapultiert einen in einem Augenblick aus der Kurve heraus, mit einem Hauch von sauber kontrollierbarem Powerslide über die Hinterachse. Die Leichtigkeit, mit der sich Lastwechsel beherrschen lassen, verleitet dazu, bei kräftigen Bremsmanövern den Heckbereich bewusst zu destabilisieren, um das Einlenken zu erleichtern. So lässt sich das Fahrzeug auf allen vier Rädern quer rutschen – zunächst durch die Trägheit, dann unter Volllast des V8 – ganz wie in den OCTA-Prototyp-Videos vom Nürburgring, die elegante, kontrollierte Drifts zeigen.
Schade nur, dass die Elektronik selbst im deaktivierten Zustand etwas zu konservativ bleibt und die Leistung teilweise abrupt kappt, besonders in langsameren Passagen. Ganz anders hingegen auf Schotter: Wählt man den Modus „OCTA“, verwandelt sich der Defender in eine Art Rallyeauto, erlaubt kontrollierbare Pendel und Powerslides, gleitet über den Untergrund und absorbiert unerschütterlich jedes Hindernis – dabei bewegt er sich mit verblüffender Präzision.
Das dynamische Potenzial des OCTA ist wirklich aussergewöhnlich und für jene deutlich spürbar, die – wie der Autor – die Gelegenheit hatten, ihn auf einer anspruchsvollen und schnellen Offroad-Strecke zu testen. Dennoch bleibt, wie bereits erwähnt, die Frage, wo ein normaler Nutzer dieses zusätzliche Potenzial hierzulande wirklich ausschöpfen kann. In Nordamerika dürfte die Situation vermutlich anders aussehen.
Zurück in der Realität bietet der Standard-Fahrmodus einen hohen Fahrkomfort, der den edleren Modellen der Marke in nichts nachsteht. Auch der Innenraum, nur leicht rustikaler gestaltet, überzeugt mit grosszügigem Platzangebot, hochwertigen Materialien und umfassender technischer Ausstattung. Er wirkt komfortabel und luxuriös, ohne die „robusten“ Wurzeln des Modells zu verleugnen.
Text Benjiamin Albertalli / Bilder zVg