Kurve um Kurve in eine neue Welt

Passfahrten haben es in sich – auf den Grimselpass ganz besonders. Denn die Route ab Meiringen durch das Haslital ist nicht nur landschaftlich äusserst reizvoll. Sie führt in eine andere, in eine faszinierende Welt. Fast senkrecht bergauf oder tief ins Felseninnere. Wahrlich eine Entdeckungsreise der besonderen Art.

Grimsel machts’s möglich: Passfahrt in höchster Vollendung
Grimsel machts’s möglich: Passfahrt in höchster Vollendung

Sightseeing ist bereits während der Anfahrt ins Haslital angesagt. Wir wählen die Strasse auf der rechten Seite des Brienzersees, von Ringgenberg über Niederried und Oberried Richtung Brienz und Meiringen. Am Fusse der Brienzer Rothorn-Kette geht es gemächlich seeaufwärts, die trutzigen Alpengipfel im Hintergrund und der türkisblaue See zur Rechten stets im Blick. Beim idyllischen Strandbad Brienz kann einzigartiger Blick über den See Richtung Interlaken genossen werden. Danach glaubt man sofort, was Einheimische empfehlen: Die Sonnenuntergangsstimmung an diesem Flecken Erde ist sensationell. Wir verlassen ungern den lauschigen Platz, doch angesichts dem, was auf unserem Programm steht, fällt der Abschied um einiges leichter. So lässt man denn das sympathische Brienz und die weite Ebene entlang der Aare nach Meiringen gerne im Rückspiegel.

Urgewaltiges Treiben

Wir befinden uns im Haslital, eines der grossen Quertäler des Alpenmassivs, das sich von der Grimsel bis zum Brienzersee erstreckt. Der flache Talgrund des unteren Tales wird durch einen imposanten Felsriegel vom oberen Tal getrennt. In zig Jahren hat sich die Aare durch den Kalkstein gefressen und dabei eine rund anderthalb Kilometer lange und bis zu 200 Meter tiefe Kluft geschaffen.

Der Weg durch die Aareschlucht – hie und da kaum breiter als ein bis zwei Meter – ist leicht begehbar. Er ist zum Teil als Holzbelag auf Stahlträgern angelegt, die im Fels verankert sind und führt via Tunnel, Galerie und Kiesweg durch ein Naturspektakel der Sonderklasse. 40 Minuten waren veranschlagt, doch Stunden hätten wir’s ausgehalten, dem wilden, urgewaltigen Treiben der noch jungen Aare beiwohnen zu können. Indes, unser nächster Schritt, einige Kilometern talaufwärts, führt uns quasi von den Tiefen eines Kellers in luftigste Höhen. Nicht zu Fuss, das sei hiermit gestanden; dafür umso abenteuerlicher. Wohl stand uns der Sinn nicht unbedingt nach Nervenkitzel, doch erlebt haben wir ihn – auf der Gelmerbahn (bei Handeck). Eine Steigung von maximal 106 Prozent macht sie zur steilsten, offenen Standseilbahn Europas. Die einstige Werkbahn ist heute für abenteuerlustige Wanderer (und Autoausflügler!) offen und bringt sie im Nu vom Tal auf 1860 Meter über Meer.

Das Grimsel-Massiv: Urgewaltig, eindrücklich, faszinierend
Das Grimsel-Massiv: Urgewaltig, eindrücklich, faszinierend

Um den lieblichen Gelmersee

Die Bahn wird als Wunderwerk der Technik gepriesen. Wohl wahr, doch unvergesslich bleiben wird insbesondere das Erlebnis einer «Fast-Senkrechten»; was einige Passagiere dazu verleitet, ihr Herzklopfen mit dem Spruch «nur Fliegen ist schöner» zu übertönen. Der Angstschweiss versiegt bei einer ungefähr zweistündigen Wanderung um den wunderschönen Gelmersee. Dabei offenbaren sich wundersame Einblicke in die hochalpine Bergwelt. Entlang des Sees laden ursprüngliche Bachläufe und riesige Felsplatten zum Verweilen ein. Bei den teilweise steil abfallenden Felspartien (womit wir wieder beim Angstschweiss wären!) helfen Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, die Aussicht hinunter auf den Bergsee zu geniessen. Übrigens: Wer Lust verspürt, dieser Ecke des Haslitals länger die Treue zu halten, nächtigt im Hotel und Naturresort Handeck – und wird es bestimmt nicht bereuen.

Staumauer und Alpinhotel

Weiter geht die Fahrt Richtung Grimsel-Passhöhe. Nach und nach machen die dunkelgrünen Tannenwälder einer kargen, jedoch mit jedem Meter eindrücklicher werdenden Fels- und Steinlandschaft Platz. Zu bestaunen ist die imposante Staumauer des Räterichsbodensees. Die Strasse mäandert von deren Sohle bis auf Höhe des Seespiegels, und ein paar wenige Haarnadelkurven später erreichen wir Grimsel Hospiz. Bereits 1142 stand hier das erste urkundlich erwähnte Gasthaus der Schweiz. Doch heute stellen wir unseren fahrbaren Untersetz vor einem Beherbergungsbetrieb ab, der als historisches Vier-Sterne-Alpinhotel sozusagen im Herzen des Hoheitsgebietes der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) thront.

Hotel Grimsel Hospiz - Im Jahre 1142 stand hier das erste urkundlich erwähnte Gasthaus der Schweiz
Hotel Grimsel Hospiz - Im Jahre 1142 stand hier das erste urkundlich erwähnte Gasthaus der Schweiz

Wunder der Technik

Willkommen im Herzen der Grimselwelt. Ein eindrückliches Monument dieser Welt ist die Staumauer Spitallamm, unmittelbar beim Grimsel Hospiz, die bis 2025 durch eine neue Mauer ersetzt werden soll. Nicht nur für Technik-Freaks lohnt sich eine Besichtigung dieser Hochgebirgs-Grossbaustelle. Der geführte Rundgang startet im Besucherzentrum Unesco/KWO und führt durch verworrene Stollen und auf imposanten Aussichtsplattformen hautnah an den Ort des Geschehens heran. Noch viele imposante technischen Einrichtungen und Naturwunder können in der Grimselwelt besucht werden. Die Kraftwerke Handeck 1 und 2, das Pumpspeicherwerk Grimsel 2 und eine Jahrmillionen alte Kristallkluft, um nur ein paar von vielen Beispielen zu nennen. Während einer Fahrt mit der Sidlerhornbahn – die Talstation befindet sich beim Hospiz – diese doch sehr besondere Region aus der Vogelperspektive zu sehen, kommt dem berühmten Sahnehäubchen auf der Torte gleich. Umso verständlicher ist denn auch unser Entscheid für eine Stippvisite auf der Grimsel Passhöhe. Im Murmeltierpark schliessen wir Freundschaft mit den grossen Nagern und ergötzen uns am Blick über den kleinen, dafür umso klareren Totensee. Und wir sind uns gewiss: Der Entscheid, den Ausflug um einen Tag zu verlängern, ist goldrichtig.

Text: Stefan Senn
Bilder: David Birri / Grimselwelt

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