Volvo EX30 Single Motor Extended Range

Elektrochic mit Bedienfrust

Das man Tesla nicht immer zum Vorbild nehmen sollte, wissen Autoexperten nicht erst, seitdem dessen narzisstischem Chef offensichtlich alle Sicherungen durchgebrannt sind.

Im allgemeinen Hype der vergangenen Jahre um das goldene Elektro-Kalb der Kalifornier haben dennoch nicht wenige Hersteller Vernunft und Erfahrungslogik über Bord geworfen, um blind trendigen Design- und Gestaltungskonzepten hinterher zu trotten. So leider auch Volvo mit seinem Elektro-Einstiegsmodell EX30, dessen Bedienkonzept für Kopfschütteln sorgt.

Es fängt schon damit an, dass es weder Schlüssel noch Starterknopf gibt, mit denen das Auto ent- und verriegelt werden kann. Ein kleines, schwarzes Kästchen ohne Tasten, einem grösseren Lego-Stein ähnlich, in der Tasche genügt, um das Fahrzeug zu öffnen und in Bewegung zu versetzen. Solange es funktioniert, gewöhnt man sich schnell an den zusätzlichen Komfort.

Tut es das nicht, was bei unserem Testwagen hin und wieder passierte, steht man etwas belämmert da und weiss nicht recht, was zu tun ist. Immerhin, nach 20-30 Sekunden erinnerte sich die Software, dass der «Schlüsselträger» vor verschlossener Tür steht und Einlass begehrt.

Fast schon steriles Interieur

Hat man es schliesslich in den Innenraum geschafft, findet man sich in einer Welt wieder, die auf Knöpfe und klassische Anzeigen konsequent verzichtet. Der Fahrer blickt auf ein aufgeräumtes, fast schon steriles Cockpit, ohne jegliche Form von Instrumentierung hinter dem Lenkrad. Kein Tacho, keine analogen Anzeigen, keine klassischen Drehregler. Zwei Lenkstock-Hebel und zwei Tastenfelder am Lenkrad, das war‘s. Ansonsten wird alles über den zentralen 12,3 Zoll grossen Hochkant-Touchscreen im Tablet-Stil gesteuert.

Beim blitzschnell arbeitenden und logisch aufgebauten Android-Infotainment mit Diensten wie Google Maps oder der Sprachsteuerung Google Assistant ist das normal und willkommen. Doch auch bei Standardfunktionen wird die (zweifelhafte) Orientierung an Tesla unübersehbar, müssen doch Klimatisierung, Belüftung, Rekuperationsstärke und selbst das Öffnen des Handschuhfachs in der Mittelkonsole oder die Einstellung der Aussenspiegel über das Display und da teils in Untermenüs, teils in Kombination mit den Lenkrad-Bedientasten vorgenommen werden. Das ist umständlich und nervt auf Dauer.

Besonders befremdlich ist dabei der Umstand, dass eine Marke, die sich gerne als Sicherheits-Vorreiter positioniert, auf ein Head-up-Display verzichtet und auch keine sonstigen Anzeigen im direkten Sichtfeld des Fahrers anbietet. Stattdessen muss man für jede Information, selbst für die aktuelle Geschwindigkeit oder die Navigation, den Blick von der Strasse abwenden. Noch absurder wird es, wenn das Fahrzeug gleichzeitig mit einer Aufmerksamkeitsüberwachung ausgestattet ist, die regelmässig Ermahnungen ausspricht – unter anderem, weil der Fahrer angeblich zu oft wegschaut. Ja, worauf wohl?

Optisch ein Charaktertyp

Dabei zeigt der EX30 durchaus Bestseller-Potenzial. Optisch wirkt das nur 4,23 Meter lange Crossover-SUV sehr gelungen: die geschlossene Front, die rahmenlosen Seitenscheiben, dass schwarze Kontrastdach – alles stilsicher und markentypisch dezent, aber mit Charakter. Die unlackierten Stossfänger unterstreichen den nachhaltigen Anspruch, der sich auch im Innenraum fortsetzt.

Dort wurden Türgriffe aus recycelten Fensterrahmen verbaut, die Sitzbezüge bestehen aus einem Mix namens Nordico, gefertigt unter anderem aus alten PET-Flaschen. Leder sucht man vergeblich – und das ganz bewusst. Das alles ergibt eine cleane Atmosphäre, die sich anfühlt wie ein modernes, skandinavisches Wohnzimmer. Zumindest optisch. Haptisch wird das Bild allerdings etwas getrübt, denn einige der als Stoff getarnten Oberflächen entpuppen sich bei näherer Betrachtung und Klopfprobe als schnöder Kunststoff.

Viel Kraft und gute Dämpfung

Auch beim Fahren macht der EX30 vieles richtig. Die 200 kW (272 PS) starke Basisversion liefert mit ihren 343 Nm Drehmoment einen beeindruckenden Vortrieb. Der Heckantrieb sorgt für gute Traktion und eine ausgewogene Balance, selbst wenn man es auf kurvigen Landstrassen sportlicher angehen lässt.

Dank des tiefen Schwerpunkts durch die im Fahrzeugboden verbaute Batterie bleibt der kleine Schwede dabei stets kontrollierbar. Zwar fehlt eine Fahrmoduswahl, doch dank der dreistufig verstellbaren Lenkung lässt sich das Fahrverhalten auf den persönlichen Geschmack anpassen. In der Einstellung «Sport» bietet die Lenkung die beste Rückmeldung, auch wenn sie insgesamt etwas synthetisch wirkt, weil es an echter Verbindung zur Strasse fehlt.

Komforttechnisch überzeugt der EX30 mit einem feinfühligen Fahrwerk, das trotz der fehlenden adaptiven Dämpfer auch mit schlechten Wegstrecken gut zurechtkommt. Schlaglöcher, kurze Wellen und Kopfsteinpflaster werden souverän absorbiert. Auf der Autobahn bleibt der Wagen auch bei höheren Geschwindigkeiten ruhig, wobei die Höchstleistung ohnehin bei 180 km/h abgeregelt wird. Der Sprint von 0 auf 100 km/h gelingt in 5,3 Sekunden – für ein Auto dieser Klasse und Grösse eine echte Ansage.

Im Alltag zeigt sich der EX30 erfreulich sparsam, zumindest bei gemässigter Fahrweise. Bei unseren Testfahrten lag der Verbrauch im Schnitt bei rund 18,5 kWh pro 100 Kilometer, bei vorausschauendem Fahren waren es sogar gute drei kWh weniger. Wer auf der Autobahn dauerhaft mit Richtgeschwindigkeit 120 km/h fährt, muss sich allerdings auf Werte jenseits der 25 kWh einstellen. Entsprechend relativiert sich die offizielle WLTP-Reichweite von bis zu 476 Kilometern schnell – realistisch sind eher 300 bis 350 Kilometer.

Immerhin: Schnellladen funktioniert nach Norm mit bis zu 153 kW, sofern die Batterie zuvor vorkonditioniert wurde. Die dafür nötige Planung ist allerdings nicht immer intuitiv, denn auch hier muss man frühzeitig ein Ziel mit Ladesäule in die Navigation eingeben. In der Praxis pendelt sich das Ganze bei rund 125 kW ein. Bedeutet: In etwa 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent. Wer den 22-kW-Onboard-Charger für schnelleres AC-Laden will, muss bei in die Ausstattungskiste greifen.

Volvo EX30

Viel Sicherheit serienmässig

Sicherheitsfeatures sind dafür reichlich ab Werk. Vom Notbremsassistenten über Spurhaltehilfe bis hin zum adaptiven Tempomaten ist alles an Bord, was man erwartet – und das meiste funktioniert zuverlässig – mit den inzwischen üblichen Gebimmel und erwähnten Ermahnungen beim Grenzüberschreitungen. Wer sich also gerne auf das Auto verlässt, wird mit dem EX30 keine schlechten Erfahrungen machen. Und natürlich – einem nordischen Auto standesgemäss – gibt es auch eine Wärmepumpe serienmässig.

Ebenso typisch Volvo wie das Sicherheitsniveau sind die komfortablen Vordersitze. Hinten sieht es dagegen anders aus. Die Rückbank ist niedrig positioniert, was dazu führt, dass die Knie der Passagiere unangenehm hoch stehen. Für Kinder oder kürzere Strecken reicht das zwar, aber ein Langstrecken-Familienfahrzeug ist der EX30 nicht. Auch das Kofferraumvolumen von 318 bis 1000 Litern ist eher durchschnittlich, punktet aber mit einem praktischen, höhenverstellbaren Ladeboden. Und der kleine «Frunk» unter der Fronthaube – sieben Liter – reicht immerhin für das Ladekabel.

Preislich startet der EX30 mit Single Motor und 51-kWh-Akku ab CHF 38'250.­-, in der Extended Range-Variante 69 kWh ab CHF 42'900.-. Die Allradversion (AWD) des EX30 mit Twin Motor Performance kostet ab CHF 48'100.-, das Topmodell Cross Country CHF 53'850.-. Und dann ist da noch die Herkunft: Gebaut wird der EX30 aktuell in China, erst in diesem Jahr soll eine zusätzliche Produktion in Belgien anlaufen. Bei den aktuellen Zoll-Streitigkeiten und für Kunden, die bewusst europäisch kaufen wollen, ein nicht ganz unwichtiger Aspekt.

FAZIT

Am Ende bleibt der Eindruck eines stylischen, flotten und insgesamt gelungenen Elektroautos – mit einer gravierenden Schwäche: seiner Bedienlogik. Die Idee, das Cockpit auf ein einziges Display zu reduzieren, mag auf dem Papier modern wirken und dem Tesla-Trend geschuldet sein, in der Praxis ist sie sicherheitstechnisch bedenklich und schlichtweg unpraktisch.

Die beim EX30 gebotene Leistung ist zwar okay, aber nicht konkurrenzlos. Konzern-Bruder Smart #1, Fiat 600e, Kia EV3 oder Jeep Avenger bieten ähnliche Konzepte für weniger Geld, wenn auch mit geringerer Motorisierung oder Reichweite.

Text aum, mru / Bilder Werk

Diese Webseite verwendet Cookies.  Datenschutzerklärung